RGG-Musicals
LINIE 1 – Entstehung und Hintergründe
1986 – Deutschland ist seit 1949 in zwei Republiken geteilt – die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR).
„West“ und „Ost“ sind durch die „innerdeutsche Grenze“, Berlin West und Ost seit August 1961 durch „die Mauer“, in der DDR auch „antifaschistischer Schutzwall“ genannt, voneinander getrennt.
1986 – Der Bundeskanzler heißt Helmut Kohl, der Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Ronald W. Reagan ist amerikanischer Präsident.
1986 – Mit Michail Sergejewitsch Gorbatschow war 1985 ein Mann an die Spitze des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gerückt, der jünger als seine Vorgänger war und dessen Denkweise sich von der der sowjetischen Parteiveteranen unterschied. Grundlegend.
Gorbatschow denkt komplex und vorausschauend. So schlägt er dem Westen im Januar 1986 die Abrüstung aller Kernwaffen bis zur Jahrtausendwende vor, im Februar bringt er auf dem 27. Parteitag der KPdSU zwei russische Vokabeln in den europäischen Sprachgebrauch ein: Glasnost (Offenheit), womit er auf mehr Presse- und Redefreiheit im Land anspielt, und Perestroika (Umgestaltung), ein Schlagwort, das eine Erneuerung der Demokratie beinhaltet. Gorbatschows Worte und seine neue Politik der Reformen ziehen Kreise, und trotz der skeptischen Betrachtung der Regierungen in den sozialistischen Bruderländern ist die von ihm angestoßene Entwicklung nicht mehr aufzuhalten und führt u.a. im November 1989 zum Fall der Berliner Mauer …
1986 – Sie hätte ein wissenschaftlicher Erfolg werden sollen, die Mission STS-51-L, zu der die US-Raumfähre „Challenger“ abhob.
Millionen verfolgen den Start am Bildschirm und das Entsetzen ist maßlos, als die Raumfähre kurz nach ihrem Start auseinanderbricht.
Sieben Astronauten verlieren ihr Leben.
1986 – Im Frühjahr erschüttert die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Welt. Es wird ein nuklearer Unfall von verheerendem Ausmaß.
Radioaktive Strahlung wird freigesetzt, viele europäische Länder davon in Mitleidenschaft gezogen.
1986 – Schweden verliert seinen sozial-demokratischen Ministerpräsidenten. Der 59-jährige Olof Palme wird bei einem Attentat am 28. Februar auf offener Straße angeschossen und erliegt noch am gleichen Tag seinen Verletzungen.
1986 – Deutschland verliert bei der Fußball WM in Mexico-City das Endspiel 3:2 gegen Argentinien und, wen wundert’s, der Deutsche Fußballmeister heißt
FC Bayern München. Das berühmteste Tennis-Turnier der Welt wird von zwei jungen Deutschen dominiert. Steffi Graf und Boris Becker.
1986 – Im April ist auch in Westberlin einiges los. Auf die von GIs besuchte Diskothek „La Belle“ wird ein Terroranschlag verübt. Drei Berliner Senatoren, darunter Rechtsaußen Heinrich Lummer (CDU), müssen wegen des Antes-Bestechungsskandals zurücktreten – und am GRIPS-Theater am Hansaplatz in der Altonaer Straße feiert das Musical LINIE 1 am 30. April Premiere.
Die Musik schrieb Birger Heymann mit der Rockband No ticket, die Texte verfasste sein Freund Volker Ludwig, Regie führte Wolfgang Kolneder.
1988 wird die LINIE 1 von Reinhard Hauff mit einem großen Teil der Schauspieler der Originalaufführung am Grips-Theater erfolgreich verfilmt.
Als das Rockmusical das erste Mal über die Bühne rollt, ahnt noch niemand, dass es einmal das meistgespielte Stück auf Schulbühnen werden würde.
Anfangs wird die LINIE 1 auch von allen großen Bühnen Deutschlands unbeachtet gelassen. Bundesweit bekannt wird das Musical dadurch, dass mehrere Lieder in der Fernseh-Satiresendung „Scheibenwischer“ aufgeführt werden. Erst mit den Theaterwochen in Stuttgart, wo das Musical der einzige deutsche Beitrag ist, wächst der Bekanntheitsgrad. Von da an führt das Stuttgarter Staatsschauspiel das Stück auf und erzielt damit einen großen Erfolg. Weitere Bühnen folgen.
LINIE 1 wird der größte Erfolg des GRIPS-Theaters und das meistgespielte deutsche Theaterstück seiner Zeit.
Zum 30-jährigen Jubiläum am 30. April 2016 erlebt LINIE 1 die 1.723. Aufführung am GRIPS-Theater Berlin. Rund 620.000 Zuschauer haben die Originalproduktion bis dahin besucht. Bis heute ist sie aus dem GRIPS-Spielplan nicht wegzudenken und sorgt kontinuierlich für ein volles Haus.
Nach der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht ist es heute weltweit das erfolgreichste deutsche Musical. Über 150 deutschsprachige Nachinszenierungen, Adaptionen in 20 Ländern (allein Seoul brachte es auf 4.000 Aufführungen) mit rund drei Millionen Besuchern und GRIPS-Gastspiele in allen Erdteilen machen Volker Ludwig viele Jahre zum meistgespielten lebenden deutschen Autor.
Er erklärte diesen internationalen Erfolg damit, er „habe ein typisches Großstadtpanoptikum entworfen, das man in allen Metropolen der Welt wiedererkennt.“
2002 – LINIE 1 macht erstmals Station in Hausach, vier Aufführungen fanden im Gymnasium statt – überbracht vom ehemaligen Lehrer Bernhard Rohrer, der seinerseits im Berliner GRIPS Theater vom LINIE 1-Bazillus infiziert wurde. Bereits 2002 dabei: Reinhardt Bäder als musikalischer Leiter, Sabine Glöckler (Choreographie) und Giovanni Santo in der Rolle des „Bambi“.
Quellen:
https://www.was-war-wann.de/1900/1980/1986.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Grips-Theater
https://taz.de/30-Jahre-Linie-1-am-Grips-Theater/!5296871/
2022
Ohne diesen Erfolg schmälern zu wollen, stellt sich nach 36 Jahren die Frage der Aktualität, wo doch der schrullige Bahnhof Zoo längst vom Hauptbahnhof abgelöst
und die U1-Strecke geändert wurde? Die Mauer ist weg, Deutschland Ost und Deutschland West sind vereint, ebenso wie die damals noch geteilte Hauptstadt Berlin. Der „Orientexpress“ rumpelt heute durch Neukölln. Die Wilmersdorfer Witwen sind ausgestorben, und wer seinen Boyfriend sucht, macht das besser übers Internet statt in der U-Bahn.
Berlin hat sich verändert. Die LINIE 1 hingegen rollt und rollt und rollt weiter wie früher, als wären auf der Strecke alle Haltesignale abgeschraubt worden?
In all den Jahren hat Ludwig die Fassungen überarbeitet, hat „haste mal ne Mark“, die Mauer sowie andere historisch obsolete Szenen gestrichen und neue dazuerfunden.
Ludwig meint, relevant sei die LINIE 1, weil es „die Figuren heute noch gibt. Es gibt immer Mädchen, die von zu Hause abhauen“, in der U-Bahn hängen bleiben und dort ihr Großstadtmärchen erleben. Von diesem „Lebensgefühl“ erzähle das Stück, das Publikum kann sich bis dato damit identifizieren. Das zeigen bis heute die ausverkauften Aufführungen am GRIPS-Theater.
Der Erfolg hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die „LINIE 1“ als etwas aus der Zeit gefallen daherkommt. Der Anachronismus besteht darin, dass mit fast schon nostalgischem Gefühl und Charme an die Skurrilität Berlins vor dem Mauerfall erinnert wird, ohne dies zu reflektieren, zu verfremden.
Die Vorstellung in Hausach orientiert sich am Original aus dem Jahr 1986.
Quelle
https://taz.de/30-Jahre-Linie-1-am-Grips-Theater/!5296871/
© 2022 by Verlag-am-Singersbach.de